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Reichenau: Gemüseinsel und noch viel mehr!

Reichenau: Gemüseinsel und noch viel mehr!
Wohl die meisten, die in Arbon wohnen, waren schon einmal auf der Insel Reichenau.

So war es doch überraschend, dass sich 63 Personen zum Ausflug anmeldeten, darunter einige aus Steinebrunn. An diesem heissen Tag war es sehr wohltuend, dass wir nur eine Stunde zur Insel fahren mussten. Das hatte auch einen Nachteil: Der obligate Kaffeehalt wie bei längeren Fahrten fiel ins Wasser, was allgemein bedauert wurde. Vor der Kirche Oberzell nahm uns Frau Uebel zur Führung durch die Insel Reichenau in Empfang.

«Die Wiege der abendländischen Kultur»
Angestossen wurde die kulturelle Entwicklung auf der Reichenau durch Karl den Grossen, der 800 zum Kaiser gekrönt wurde. In der Kirche St. Georg Oberzell sahen wir die eindrücklichen Wandbilder der Wunder Jesu (z.B. Heilung des Besessenen, Beruhigung des Seesturms, Totenerweckungen). Auch in den Kirchen Mittelzell und Niederzell finden sich Bilder der monumentalen Wandmalerei aus dem so genannten «Goldenen Zeitalter» der Reichenau im 9. und 10. Jahrhundert. Mit dem Benediktinerkloster St. Gallen bestand eine enge Verbindung, daraus entstanden ein Verbrüderungsvertrag und ein Klosterplan, der auf der Reichenau entworfen wurde. Weil die Klosterinsel Reichenau damals das kulturelle Zentrum Europas war, wurde sie 2000 durch die Unesco in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.

«Das geht auf keine Kuhhaut»
Unter dieser seltsamen Überschrift steht die Führung, die der Tourismusverein Reichenau anbietet – warum? Auf einer Wandmalerei im Vorchor von St. Georg ist eine Kuhhaut zu sehen, die von vier Teufelchen an den vier Ecken getragen wird, auf der Kuhhaut liest ein fünftes Teufelchen, was in gotischer Schrift geschrieben steht. Dazu gibt es zwei Deutungen: Wer eine Mitra trägt (Bischöfe und der Papst), der hat Frauen im Kopf – eine teuflische Kritik an den Mitraträgern. Die zweite Deutung betrifft die Frauen: Was Frauen die Woche über alles an Blabla reden, geht auf keine Kuhhaut. Beim letzten Gericht wird alles offenbar, das unehrliche Verhalten der kirchlichen Würdeträger und das dumme Geschwätz der Frauen, die Männer sind da nicht ausgenommen! Nach einer Meditation über den heiligen Georg in der Kirche Oberzell ging es auf die weitere Inselrundfahrt.

Reichenau heute mit Traditionen aus der Klosterzeit
Gemüsebau, Fischerei, Weinbau und der Tourismus sind heute die Haupterwerbszweige der 5000 Einwohner der Insel. Aus der Tradition haben sich die Reichenauer drei eigene Feiertage bewahrt: den Markustag am 25. April, denn eine Markus-Reliquie gelangte im 9. Jahrhundert auf die Insel, den zweiten Montag nach Pfingsten wegen der Heilig-Blut-Reliquie, die in einer Monstranz eingeschlossen ist, und Maria Himmelfahrt, nach der das Münster Mittelzell zusammen mit dem heiligen Markus geweiht ist. Die Prozessionen werden auch heute noch von einer bewaffneten Bürgerwehr angeführt, eine grosse Seltenheit. In den Klosterzeiten waren Hinrichtungen auf der Insel verboten, diese mussten in Allensbach am gegenseitigen Ufer ausgeführt werden und wurden von einem Gnadenglöcklein angekündigt.

Dann führte uns die Inselfahrt über schmale und auch steile Strässchen durch Weinberge und Gemüsefelder zum Gasthaus «Zum alten Mesmer», wo wir das reichhaltige Mittagessen einnahmen. Nachher blieb Zeit zu einem kleinen Spaziergang zum See oder zur Besichtigung des Münsters Mittelzell, in dem Mönche im 10. Jahrhundert kunstvolle Bücher in der Schreibstube (Scriptorium) und in der Malschule schufen, die auch an Bischöfe, Könige und Päpste versandt wurden. Das Schreiben war für die Mönche strenge Arbeit unter Aufsicht des Bibliothekars und bei Stillschweigen: «O wie schwer ist das Schreiben: es trübt die Augen, quetscht die Nieren und bringt zugleich allen Gliedern Qual. Drei Finger schreiben, der ganze Körper leidet» – so die Erfahrung eines schreibenden Mönches.

Auf dem Heimweg quer durch den mittleren Thurgau gelangten wir zum Café Bürgi in Pfyn zum Zvierihalt. Und wie durch den ganzen Tag führten uns die Chauffeusen Sonja Käfer und Manuela Hochuli sicher nach Hause. Zurück in Arbon waren sich wohl alle einig: Eine Fülle von neuen Informationen aus der Reichenauer Klostergeschichte und viele gute Begegnungen und Gespräche mit vertrauten und neuen unbekannten Personen, eine wunderbare Reise auf die Reichenau – es hat sich gelohnt!

Matthias Rupper
Beitrag erstellt: 22. September 2023